▷ La Nochera: Varieté del Universo – ◁ La Nochera [nächtliches Umherschweifen]: Varieté im Universum
Beim Varieté La Nochera (im Deutschen vielleicht „nächtliches Umherschweifen“) ist eine Ausgabe für uns nicht an ein bestimmtes Datum gebunden, zum Beispiel war die letzte Ausgabe nicht am 4. Dezember, sondern sie beginnt, wenn wir das erste Treffen abhalten, um zu sehen, was in dieser Ausgabe erscheinen wird. Eine der Grundvoraussetzungen ist, dass es sich um einen Raum handelt, der offen für Erkundungen ist (…) es gibt vier definierte Säulen, nämlich Musik, Theater, Tanz und Poesie (…) aber nun ja, es gibt nichts sehr Festes und das Varieté besteht für uns mehr als in dieser Nacht in den Treffen, der Organisation, den Proben…. jede Probe erst einmal: ich weiß nicht, wir fangen mit einem Essen an und gehen dann zur künstlerischen Frage über (…) Ein paar Tage vor der Vorstellung machen wir eine Generalprobe, um die Teile zusammenzustellen (…)
Obwohl das Varieté La Nochera eine starke argentinische Komponente hat (…) wird es nicht als eine argentinische Nacht per se betrachtet; tatsächlich sind die Türen offen für Lateinamerika und Spanien (…) In diesem letzten Varieté sang Blanca Fernández – die aus Madrid stammt – ein Lied von Sabina; es gab auch das Duo Saphi, dessen Sängerin Norma aus Venezuela stammt (…). Es gab lateinamerikanische Musik, wir haben Boleros gemacht, die nicht aus Argentinien stammen (…)
Zum einen gab es diese Frage und zum andern hatten wir ein Bedürfnis, das wir auch in den verschiedenen Veranstaltungen spürten, die wir dieses Jahr organisierten, wie den Argentinischen Abend oder als das Duo Coplanaco kam (…) Wir fühlten und sahen das Bedürfnis der Menschen, sich nach der Pandemie wieder mit einem künstlerischen Ereignis zu verbinden, zusammenzukommen, sich auszutauschen, und ich denke, das ist einer der Gründe dafür, dass das Varieté La Nochera von den Menschen so gut angenommen wurde.
(…) das Varieté La Nochera kommt nicht, um eine Lücke zu füllen, die andere hinterlassen haben (…) wie die Theaterwerkstatt Hamburg , die argentinische Peña im Universo [Universo Tango, der Salon an der Grenze von Sternschanze und St. Pauli], oder eine Antwort oder ein Kontrapunkt zu sein zum Pena Latina in der Cantina [Cantina Fux und Ganz in der Viktoria-Kaserne in Altona]. Nein nein nein, das Varieté ist eine Ergänzung und ist auch Teil einer Kontinuität, denke ich, es füllt nicht ein Vakuum. Ich finde es toll, dass es verschiedene Alternativen gibt (…): Ich weiß, dass es die Theatergruppe Mojiganga gibt, die z.B. im Kulturschloss in Wandsbek aufgetreten ist; wir haben mit den Jungs von Trio Trespesos hier in Hamburg etwas mit Poesie und Musik gemacht; ich komme aus einem Theaterworkshop, einer Gruppe, Las Bernardas, mit der wir in der Schule Stellingen La Casa de Bernarda Alba aufgeführt haben. Wir sind also eine Gruppe von Künstlern, die sich kennen und schöne Momente miteinander teilen, und wir suchen nach Räumen, um unsere Kunst zu präsentieren.
Zum Thema Schreiben oder Literatur im Varieté kann ich sagen, dass sich verschiedene Dinge ergeben haben. Im ersten Varieté am 16. Oktober habe ich zum Beispiel einige meiner eigenen Gedichte in Spanisch und auf Deutsch selbst vorgelesen, begleitet von Musik des Trio Trespesos -Nacho, Juancho und Pablo Milanesio, der jetzt in Argentinien ist-. Das war Teil einer Reihe von Vorstellungen, die wir seit letztem Jahr in verschiedenen Rahmen gemacht haben, entweder bei den Romerotagen oder bei der Nacht der Kirchen (…)
(…) im ersten Varieté präsentierte ich auch einen Monolog, Despedida de Soltera [Junggesellinabschied] von Jorge Becherini, einem argentinischen Autor – [ein Monolog], den ich in einem Buch namens >Teatro< gefunden habe, in dem es kurze Stücke für verschiedene Charaktere gibt, die meisten für eine oder zwei Schauspielerinnen, maximal drei. Für diesen Monolog erfand ich eine Gestalt, die ich La Chechu nannte.
… und La Chechu ist erwachsen geworden und hat nun im zweiten Varieté ihren eigenen Monolog vorgetragen, es ist ein Monolog, den ich selbst geschrieben habe; es entfaltet La Chechu weiter, die sehr beschämt ist, der viel passiert ist, die selbst sagt, dass sie eine Boluda ist [Eierkopft oder Strohdumm] (…) also erzählt sie ihre Erfahrungen im zweiten Varieté in einem Monolog, aber gleichzeitig war sie die Moderatorin der Veranstaltung. So trat sie zu verschiedenen Zeiten auf, um die Künstler vorzustellen, und erzählte gleichzeitig als Monolog ihre Anekdote “La Chechu im Amt”, als sie ihre Gesamtgenehmigung für Boluda 2022-2023 verlängern wollte. In diesem Monolog von „La Chechu im Amt“ überzeichne ich eine Situation, die alle Einwanderer kennen: wenn wir zum Amt für Migration oder zur Ausländerbehörde gehen, um unsere Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. Und so übertreibe ich diese Situation ein wenig und bringe viel Humor hinein und zeige auf eine Art und Weise, – mit Schalk oder Humor oder ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, – den Kontrast oder diesen Kulturschock, den wir Latinos und Latinas hier mit der deutschen Kultur haben, diese Sache mit der Terminvereinbarung, mit der Kontrolle, mit dem Zuspätkommen oder Nicht-Zuspätkommen, damit, dass man warten muss und dann angemeckert wird, weil man zu spät kommt. Das sind verschiedene Dinge, die wir alle hier durchgemacht haben, und ich dachte, es sei interessant, sie mit Humor zu zeigen.
Diese Szene für zwei Frauen von Griselda Gambaro wollte ich schon seit Jahren machen. María Ester hat sich auch dafür interessiert und ist eingestiegen, und alle waren von der Idee begeistert. Ich mag Griselda Gambaro, weil sie eine argentinische Schriftstellerin und Dramatikerin ist, die an der so genannten offenen Theaterbewegung beteiligt war, und ich mag das Absurde, die Ästhetik des Absurden, die Sprache des Absurden im Theater sehr. Es gefällt mir, dass sie in diesen kurzen Stücken (…) vor den Augen des Publikums eine extreme, dramatische Situation präsentiert, die zugunsten der einen oder der anderen Gestalt aufgelöst wird; es sind fast immer zwei antagonistische Gestalten. In diesem Fall handelt es sich um zwei Frauen aus unterschiedlichen Positionen, die beide von Gewalt betroffen sind. Es ist schwierig, mit Absurdität und Humor die Grausamkeit zu erreichen, die die Autorin auf die Bühne bringen will, in diesem Fall die weibliche Grausamkeit, den weiblichen Neid und die Gewalt, die diese Gestalten, Matilde und Graciela, unbewusst akzeptieren, tolerieren oder herbeisehnen, um sich als begehrte Frauen zu fühlen. Irgendwie wird Gewalt eingebürgert, und das lässt die Grausamkeit wachsen. Ich weiß nicht, wie es die Öffentlichkeit erreicht hat, aber es hat mir sehr gut gefallen und ich würde mich gerne weiter mit dieser Autorin beschäftigen.
Ich stelle mir die Perspektive für das Varieté reichhaltig, überraschend und unvorhersehbar vor, wir wissen nicht, was kommt, es ist eine Reise, und ich bin sehr stolz darauf, an dieser Varieté- oder Nochero-Bewegung teilzunehmen. Ich denke, es ist ein Meilenstein im kulturellen Leben der Diaspora, ja, denn letztlich ist es eine Bereicherung für das Publikum, für die lateinamerikanische Gemeinschaft und für all diejenigen – ob Lateinamerikaner oder Deutsche oder Europäer im Allgemeinen -, die mehr über unsere Kultur, unsere Rhythmen, die Komponisten, die Dramatiker, die Schriftsteller – sowie über das Schaffen und die Ausdruckskraft der lateinamerikanischen Künstler, die das Varieté ausmachen – erfahren wollen.